Leseprobe “Sommernachtsblues – Die Bates Familie 1”

LESEPROBE

“Sommernachtsblues – Die Bates Familie 1”

Bald erhältlich

 

1. KAPITEL

Eden

Die lederne Aktentasche unter den Arm geklemmt und einen Becherhalter mit zwei Kaffeebechern in der anderen Hand, betrat ich kurz nach acht die Immobilienfirma meines Freundes.
»Guten Morgen«, begrüßte ich gut gelaunt Mrs. Fowler, unsere Empfangsdame im Vorzimmer, die den Kopf hob und mich misstrauisch musterte. Es grenzte offenbar an ein Wunder, dass ich, als der geborene Morgenmuffel, mit diesem Elan zur Arbeit kam. Doch heute hatte mir nicht einmal der träge Stadtverkehr die Laune verdorben.
Mit dem Ellbogen gab ich der Eingangstür einen Schubs, bis sie mit einem leisen Klacken einrastete, ehe mich anschließend auf den Weg in mein Büro machte.
»Miss Butler?«, ließ mich die Stimme der Sekretärin innehalten und ich wandte mich mit fragendem Blick zu ihr um. »Mr. Dean ist nicht an seinem Schreibtisch. Er erwartet Sie im Meetingraum.«
Überrumpelt von dieser Mitteilung entfuhr mir ein überraschtes »Oh!« Hatte ich etwa eine Planänderung verpasst, oder mich gar im Wochentag geirrt? Während ich in Gedanken eilig meinen Terminkalender überflog, stand ich weiterhin wie angewurzelt mitten im Eingangsbereich. Den Mund leicht geöffnet, starrte ich noch immer in Mrs. Fowlers Richtung, ehe ich mir der Situation gewahr wurde.
»Aber natürlich«, merkte ich eilig an. Und als hätte sie nur darauf gewartet, dass die Nachricht auch den letzten Winkel meiner Gehirnzellen erreichte, nickte sie mir eilig zu und widmete sich wieder ihren Tätigkeiten.

Noch immer aus dem Konzept gebracht, machte ich auf dem Absatz kehrt und wandte mich der Doppeltür zu, die in den Konferenzraum führte. Leise vor mich hin fluchend lehnte ich mich mit der Schulter gegen die Tür und versuchte, die Klinke nach unten zu drücken, ohne dabei meine Tasche und den Kaffee fallen zu lassen. Meine Finger berührten das kühle Metall, als in der nächsten Sekunde die Tür von der anderen Seite aufgerissen wurde.
Nicht auf diese plötzliche Situation vorbereitet, rutschte mir die Aktentasche aus den Fingern. Als ich danach greifen wollte, verlor ich das Gleichgewicht und stürzte in den Raum. Mit einem überraschten Ausruf prallte ich gegen meinen Chef, mit dem ich mir seit einigen Jahren auch ein Bett teilte. Geistesgegenwärtig packte er mich gerade noch rechtzeitig an den Oberarmen, um mich aufzufangen.
Doch für die Kaffeebecher in meiner Hand war es einfach zu viel Schwung. Sie schwankten, kippten aus dem Halter und prallten gegen seinen Oberkörper. Kaffeeflecken breiteten sich auf seinem Hemd aus, tränkten den weißen Stoff. Mit weit aufgerissenen Augen starrte ich Jordan an, als er aufstöhnte und wir zusammen zu Boden gingen.
Schmerzhaft sog ich die Luft in meine Lungenflügel, als ich gegen seine Brust gedrückt wurde. Für einen kurzen Moment schloss ich die Lider und wünschte mir ein Loch herbei, um mich darin zu verstecken. Eines aus dem man so schnell nicht mehr hervorkriechen konnte, zumindest nicht, bis jeder diese Peinlichkeit vergessen hatte.
Mit einem zögerlichen Lächeln, das meine Unsicherheit nur noch mehr zum Ausdruck brachte, betrachtete ich Jordans Gesicht, in der Hoffnung etwas darin zu lesen. Die Lippen zu einer dünnen Linie zusammengekniffen, funkelte er mich wütend an.
»Es tut mir so leid, Jordan. Ich … wollte dich eigentlich … überraschen«, stotterte ich von seiner feindseligen Reaktion völlig überrumpelt. Natürlich war mir klar, dass er nicht gerade erfreut sein würde, über das ruinierte Hemd, doch dass er mir solch einen Blick schenkte, brachte mein Herz zum Rasen.
Eilig stützte ich mich mit einer Hand auf Jordans Oberkörper ab und rutschte von ihm herunter, bis ich auf den Knien landete.
»Die Überraschung ist dir gelungen«, grummelte er ungehalten und setzte sich auf. Seine Augen wanderten jedoch zu meinem schwarzen Rock und blieben daran hängen, während ich mit ungelenken Bewegungen versuchte aufzustehen.
Ein Unterfangen, das mir überhaupt nicht gelang. Warum musste ich auch ausgerechnet heute dieses kurze Teil anziehen? Es war unmöglich, mich damit auf elegante Art und Weise zu erheben.
Als ich in Jordans Richtung sah, schien sein Unmut wie weggeblasen, denn ein Schmunzeln zierte seine Lippen, während er mich amüsiert betrachtete.
»Du siehst süß aus, wenn du dich so abmühst. Soll ich dir helfen?« Jordan hatte seine Unterarme auf den angewinkelten Knien abgestützt und musterte meine nackten Beine.
»Ich finde daran überhaupt nichts lustig und ich bin alles andere als süß«, widersprach ich und streckte die Hand nach der Tischkante aus, um mich daran hochzuziehen. Wackelig stand ich auf den hohen Absätzen und atmete erleichtert auf, als ich mein Gleichgewicht wieder gefunden hatte. Nur um im nächsten Moment zu erstarren, als ich am Tischende eine mir nicht unbekannte Person ausmachte. Bitte nicht! Dieser Tag konnte nicht mehr schlimmer werden.
»Was machst du denn hier?«, schnaubte ich aufgebracht und rang um Beherrschung. Einerseits trug mein Gesicht noch immer die Röte der Peinlichkeit auf den Wangen, während ich andererseits versuchte meine Fassung wieder zurückzuerlangen.
Kein leichtes Unterfangen, denn mein Gegenüber war niemand geringeres als William. William, den ich zu den Fehlern gezählt hatte, die man niemals wiederholen sollte und von denen man nur hoffen konnte, sie für immer zu vergessen.
Ich konnte nicht glauben, dass ich ihm tatsächlich erneut begegnete. All die Jahre hatte ich nichts von ihm gehört und nun saß er hier und musterte mich schweigend. Für einen kurzen Moment schloss ich die Augen und versuchte mich zu beruhigen, meinen Atem zu kontrollieren, der nur stoßweise aus mir herauskam, als würde man mir die Luft zuschnüren. Das Blut rauschte durch meine Adern und pulsierte in meinen Ohren.
Mein schlimmster Albtraum war wahr geworden. Ich wollte fliehen, an einen weit entfernten Ort und doch bewegte ich mich keinen Zentimeter. Wie festgewachsen stand ich da.
»Ihr kennt euch?«, fragte Jordan und durchbrach mit seinen Worten die unangenehme Stille, die sich über den Raum gelegt hatte, ehe er sich vom Boden erhob.
»Flüchtig«, murmelte ich und senkte den Blick, als ich die Hitze in meine Wangen hochsteigen spürte. Flüchtig war mehr als gelogen und dennoch hatte ich nicht vor die volle Wahrheit preiszugeben. Allein der Gedanke an längst Vergangenes nagte an mir. Nichts in der Welt hätte mich dazu gebracht tiefere Einblicke in bereits Verdrängtes darzulegen.
Eilig, und um den Anschein zu erwecken, dass alles völlig normal war, nahm ich den Platz an Jordans Seite ein und warf einen Blick in die Unterlagen, die bereitlagen.
»So kann man es auch nennen. Nicht wahr, Eden?«, entgegnete William spöttisch.
Ein leises Stöhnen entwich meinen Lippen. Aus dem Augenwinkel bemerkte ich den fragenden Blick von Jordan.
»Möchtest du mir dazu etwas sagen?« Seine Stimme klang aufgebracht und rau, während er versuchte seine Wut im Zaum zu halten. Er würde sich niemals die Blöße geben und in Gegenwart eines Kunden laut oder gar unfreundlich zu werden.
Wie sollte ich ihm das erklären?
Eilig schüttelte ich den Kopf, bevor ich ihn ansah. Seine Augen stellten tausende unausgesprochene Fragen, doch sein Mund blieb geschlossen und wartete auf meine Antwort. »Das war lang, bevor wir uns kannten«, winkte ich ab und schenkte ihm zögernd ein Lächeln.
Jordan nickte und widmete sich wieder den Papieren auf dem Tisch. Geschäftig blätterte er von einer Seite zur nächsten, um den Anschein zu erwecken, er würde lesen. Doch ich kannte ihn besser. Es war schon immer seine Art, sich auf diese Weise zu beruhigen und Konflikten aus dem Weg zu gehen. Sein inneres Gleichgewicht finden, nannte er es. Für mich bedeutete das, die nächsten Stunden mit Bangen und Warten zu verbringen, wann all diese aufgestaute Wut aus ihm herausbrechen würde.
Jordan hasste die Tatsache, dass es vor ihm auch andere Männer gegeben hatte und nichts brachte ihn mehr aus der Fassung, als einen meiner alten Verehrer zu treffen.
Seine Eifersucht kannte keine Grenzen und bisher endeten solche Situationen immer in Beschimpfungen und Wutausbrüchen, in denen er mir versicherte, dass es außer ihm keinen weiteren Mann in meinen Leben zu geben hatte. Gänsehaut überzog meinen Körper und ließ mich frösteln. Ich hasste diese Momente und vor allem mich selbst für meine Schwäche, nicht dagegen anzukämpfen. Nur stumm dazusitzen und mich nicht mit Worten zur Wehr zu setzen, als wäre ich ein kleines Kind, das nichts zu sagen hatte.
Er räusperte sich, ehe er aufblickte und seine Aufmerksamkeit dem Gast zuwandte. »Mr. Saunders, wo waren wir stehen geblieben?«, erkundigte er sich mit einem Tonfall, der ganz klar sein Missfallen ausdrückte.
Mit einem süffisanten Lächeln blickte William in meine Richtung. »Wir sprachen über die Zusammenlegung unserer Firmensitze und die beiden lukrativen Aufträge, die Ihnen zugutekommen würden.«
Mit offenem Mund starrte ich William an. Wie konnte er mir das antun? Nach all den Jahren, in denen ich mich von unserer Beziehung erholt hatte, tauchte er nun einfach so in meinem Leben auf und genoss mein sichtliches Unbehagen. Das durfte nicht wahr sein. Ich musste diese Fusion verhindern, wenn ich ihn nicht zukünftig bei Meetings oder anderen wichtigen Gesprächen in meiner Nähe wissen wollte. Das konnte niemals gut für mich enden. Sollte diese Zusammenlegung tatsächlich vonstattengehen, unterstand ich von nun an beiden.
»Welche Angebote wären das?«, erkundigte ich mich ohne auf Williams Teilhaberschaft einzugehen.
Für einen kurzen Moment wirkte er enttäuscht über meine Reaktion, dann hatte er seine Gesichtszüge wieder unter Kontrolle. So leicht würde ich ihm das Spiel nicht machen.
»Es handelt sich um zwei Immobilien aus dem achtzehnten Jahrhundert, die inzwischen Millionen wert sind und deren Verkauf es abzuwickeln gilt«, berichtete mir Jordan von den bisherigen Verhandlungen, bei denen er mich außen vor gelassen hatte. Bis zum heutigen Tag hatte ich nichts von einem neuen Teilhaber geahnt.
Ich konnte es noch immer nicht fassen, dass er mir all das verschwiegen hatte.
»Eine der Immobilien, den Auftrag in Manhattan, werde ich selbstverständlich selbst übernehmen«, fügte Jordan hinzu und musterte mich abwartend, ob ich auf den Zug aufspringen würde.
Wie immer nahm er das Geschäft, das am einfachsten abzuwickeln war und ihm die wenigste Arbeit bescherte. »Und das zweite Gebäude?«, hakte ich nach, in der Hoffnung, dass nicht bereits einer meiner Kollegen nach dem Auftrag gierte. Viel zu oft hatte ich nach einer Chance gegriffen und musste zusehen, wie sie mir vor der Nase weggeschnappt wurde.
»Das lege ich ganz in deine Hände. Was sagst du dazu?« Er schenkte mir sein zauberhaftes Lächeln, als wäre er direkt einem Werbespot entsprungen.
Verwirrt hielt ich inne und starrte ihn an. Er machte gewiss nur Scherze. Bisher hatte er es mir nie ermöglicht, die Bilder für die lukrativen Häuser abzulichten. Etwas, auf das ich seit Jahren hinarbeitete, obwohl ich eigentlich Landschaftsfotografin war und der Job in Jordans Unternehmen nur eine Übergangslösung sein sollte. Inzwischen waren aus den Monaten Jahre geworden und ich hatte aufgehört mich nach neuen Möglichkeiten umzusehen.
»Wo ist der Haken?«, erkundigte ich mich misstrauisch, denn geheuer war mir sein plötzlicher Sinneswandel nicht. Bisher hatte ich nur die Appartements in New York fotografiert und für den Verkauf vorbereitet. Eine billige Wohnung nach der anderen, denn mehr hatte mir Jordan nie zugetraut. Laut ihm verstand ich nichts von Immobilien, dem Marktwert oder den reichen Kunden, die begierig auf die Objekte waren.
Und somit hatte ich mir angewöhnt, jeden Strohhalm zu ergreifen, den er mir anbot. Schließlich wollte ich mein Können unter Beweis stellen.
»Es gibt keinen, Liebling. Ich gebe dir diese Chance, damit du dich in der Firma beweisen kannst«, er lehnte sich in meine Richtung und fasste nach meiner Hand.
Irritiert über den Kosenamen in einer geschäftlichen Verhandlung, war ich kurz versucht, sie wegzuziehen, besann mich dann aber eines Besseren. Ich wollte auf keinen Fall seine Wut weiter schüren. Markierte er etwa sein Revier, indem er aufzeigte, zu wem ich gehörte? Mir behagte die Situation überhaupt nicht. Ich stand zwischen den Fronten. Einerseits war da mein Ex, von dem ich gehofft hatte, ihn nie wieder anzutreffen und auf der anderen Seite mein Freund, dem ich klarmachen wollte, dass meine Vergangenheit nichts an meiner Beziehung zu ihm ändern würde.
In meinem Kopf drehte sich alles. Hatte ich überhaupt eine Wahl? Ich atmete tief durch, ehe ich ihm in die Augen blickte. »Worin besteht meine Aufgabe?«
»Nur eine Fahrt nach Vermont, wo du das Haus einer älteren Dame fotografieren wirst«, informierte er mich über die wichtigsten Details.
»Was?« Entsetzt öffnete ich den Mund, schloss ihn aber gleich wieder. Ich und Vermont. Das war so absurd, als würde man einen Elch im Central Park platzieren. Ich war zwar auf dem Land aufgewachsen, doch hatte ich mich mein Leben lang nie wohl gefühlt dort. Es war alles zu grün, zu leise und vor allem zu abgelegen. Ich hatte die erste Gelegenheit wahrgenommen und war mit William nach New York verschwunden. Sehr zum Leidwesen meines Vaters.
Mein Leben spielte sich in New York ab, eine pulsierende Metropole, in der man alles haben und erreichen konnte. Ich konnte ein Penthouse mitten in Manhattan verkaufen, wusste, wie begehrt die Studentenwohnungen nahe dem Univiertel waren. Aber ein Haus auf dem Land? Ich hatte keine Ahnung, warum man weit abseits jeglicher Zivilisation leben wollte. Und nun sollte ich mich diesem Projekt annehmen? Wollte mich Jordan testen?
Vom Ende des Raumes drang ein quietschendes Geräusch an mein Ohr. William war von seinem Stuhl aufgestanden und kam auf uns zu. Er war noch immer anwesend. Ich hatte ihn komplett vergessen. Leise stöhnte ich auf.
»Mr. Saunders, Sie wollen uns schon verlassen?« Jordan erhob sich ebenfalls von seinem Stuhl.
»Ich bin mir sicher, dass Sie eine Lösung finden werden, die Differenzen zu beseitigen.« Dass William dabei seine Hand ganz zufällig auf meine Schulter legte, war Jordan nicht entgangen. Eilig reichte er ihm seine, um sich zu verabschieden.
»Natürlich. Ich werde Sie auf dem Laufenden halten. Die Verträge erhalten Sie von meiner Sekretärin.« Mein Freund hielt ihm die Tür auf und schloss sie hinter ihm.
Erleichtert atmete ich auf, als William aus der Tür verschwand und nur noch seine Schritte im Vorzimmer nachhallten.
»Du hast doch nicht ernsthaft diese Dokumente schon unterschrieben?«, fragte ich und erhob mich, um ihm gegenüberzustehen. Das Donnerwetter war mir sowieso gewiss, da konnte ich es genauso gut sofort heraufbeschwören. Auf keinen Fall wollte ich auch nur in der Nähe von William sein, zu schwer lastete die Vergangenheit auf meiner Brust.
Mit verschränkten Armen starrte ich ihn abwartend an. Seinem verdutzten Gesichtsausdruck nach zu urteilen, hatte ich ihn überrumpelt. Doch der Vorteil würde nicht sehr lange auf meiner Seite liegen.
»Dir scheint wohl nicht entgangen zu sein, dass das meine Immobilienfirma ist und somit entscheide ich, mit wem ich eine Fusion eingehen möchte. Und wenn du es genau wissen möchtest. Ja, ich habe die Papiere unterschrieben und du wirst diesen Auftrag ausführen.« In seinen Worten schwang ein zorniger Unterton mit, der mir das Blut in den Adern gefrieren ließ.
Instinktiv wich ich einen Schritt zurück und versuchte mich zu fassen. »Dass wir seit Jahren ein Paar sind, scheint dir entgangen zu sein.« Meine Stimme war nur ein Flüstern.
»Ich habe wohl einige andere Dinge nicht mitbekommen«, knurrte er mich an.
Unwillkürlich zuckte ich zusammen und senkte den Blick. »Das war lange vor dir und hat nichts mit diesem Geschäftsabschluss zu tun.«
»Für mich schon. Wie kann ich mit dem Mann zusammenarbeiten, wenn ich genau weiß, dass er meine Freundin gevögelt hat?« Sein Mund war nur noch eine schmale Linie, so fest presste er die Lippen aufeinander, während er bedrohlich näherkam.
Verunsichert trat ich einige Schritte zurück, um den Abstand zwischen uns zu vergrößern, als ich mit dem Rücken gegen die Wand stieß. Jetzt gab es nur noch einen Weg und der führte an Jordan vorbei.
»Normalerweise bespricht man solche Dinge auch in einer Beziehung, bevor man wahllos eine Fusion eingeht und die Verträge unterschreibt.« In die Ecke gedrängt, widerstand ich dem Drang mich zu verkriechen und ging stattdessen auf Konfrontation. Doch er ließ sich nicht davon abschrecken und überbrückte den letzten Meter zwischen uns.
Mit festem Griff packte er meine Schultern und drückte mich gegen die Wand. Sein Gesicht kam bedrohlich näher. »Ich will wissen, ob ihr etwas miteinander hattet?«
»Was geht dich das an?«, erwiderte ich und wehrte mich gegen seine Hände.
»Ich will eine Antwort.« Jordan verstärkte den Druck und Schmerz durchzuckte meine Muskeln.
»Verdammt. Ja, hatten wir«, presste ich wütend hervor und unterdrückte die Tränen der Wut, die in mir hochstiegen. Ich fühlte mich gedemütigt und senkte den Blick zu Boden. Wieso konnte er es nicht einfach dabei belassen, dass William meiner Vergangenheit angehörte? Wieso Geschichten hervorkramen, die man nie wieder durchleben oder durchdenken wollte?
Er lockerte seinen Griff, packte mein Kinn und zwang mich ihn anzusehen. »Wie viel?«
»Alles«, wimmerte ich mit weit aufgerissenen Augen. »Er hatte alles und noch viel mehr.« Wenn er meinte mich zu verletzen, dann konnte ich das ebenso.
»Wie kannst du es wagen?«, brüllte er mich an und stieß mich von sich fort. Die Wucht war so heftig, dass ich ins Taumeln geriet und zu spät meine Hände ausstreckte, um mich aufzufangen. Hart schlug ich mit dem Wangenknochen auf.
Ein Stöhnen entwich mir, während ich mit den Fingern meine Wange befühlte. Es war schon eine Ewigkeit her, dass Jordan derart die Kontrolle verloren hatte.
»Du fährst noch heute nach Vermont und erledigst deinen Auftrag. Wage es nicht, ohne ordentliche Fotos, oder unterzeichnete Verträge, zurückzukommen.«
Meine Worte blieben aus, hatten sich in meiner Kehle angesammelt und harrten dort wie ein dicker Kloß aus, den man nicht beseitigen konnte. Stumm liefen Tränen über mein Gesicht und tropften auf das Parkett. Ich hörte, wie sich seine Schritte entfernten und die Tür einrastete.
Es war vorbei. Ich war alleine.

2. KAPITEL

Noe

Konzentriert verglich ich meine Notizzettel mit der angefertigten Skizze und fügte die Zimmeraufteilung in den Plan ein. Ein kurzes Klopfen an der Tür ließ mich jedoch zusammenzucken und ich rutschte mit dem Bleistift ab. Genervt stöhnte ich auf und suchte nach dem Radiergummi. Wo war er nur? Immer diese Sucherei.
»Herein«, murmelte ich, als mir das Geräusch von eben in den Sinn kam.
Ich kroch unter den Skizzentisch und durchwühlte die Vorzeichnungen, die ich angefertigt und vom Tisch gefegt hatte, als es an die eigentliche Arbeit, den Grundriss einer Shopping Mall ging. Ich schob die Blätter beiseite und entdeckte den Übeltäter.
»Mr. Bates?«, erklang die Stimme meiner Assistentin.
»Was gibt es, Naomi?«, erkundigte ich mich, während ich den Radiergummi in meiner Faust einschloss und aufstand.
Mit einem lauten Knall schlug ich mit dem Kopf von unten gegen die Tischplatte. Fluchend kroch ich rückwärts hervor und hielt meine Hand auf die schmerzende Stelle. Verdammt tat das weh. Warum musste sie mich immer in solchen Momenten stören?
Ich wandte den Kopf in ihre Richtung und musterte ihren heutigen Aufzug. Ihre blonden Haare reichten über ihre Schultern und verdeckten den oberen Teil ihrer altertümlichen weißen Bluse, die mit einer Menge Rüschen verziert war. Eindeutig zu viele für meinen Geschmack. All das ließ sie noch pummeliger erscheinen, als sie ohnehin schon war. Ihr hellbrauner Blumenrock sah aus, als hätte sie sich einen Vorhang aus den sechziger Jahren umgewickelt. Sogar meine Großmutter hatte einen edleren Geschmack.
»Was ist so wichtig, dass sie während meiner kreativen Stunden hereinplatzen?«, maulte ich sie an und hob den Bleistift auf, der durch den Aufprall auf den Boden gefallen war.
»Es tut mir leid. Ich kam erst herein, als sie es mir angeboten hatten«, murmelte sie und senkte dabei schuldbewusst den Blick.
Für einen kurzen Moment schloss ich die Augen und atmete tief durch. »Worum geht es?«, fragte ich erneut und hoffte auf eine baldige Antwort, um mit meiner Arbeit fortfahren zu können.
»Ihre Schwester ist am Telefon.« Naomis Stimme klang zögernd, als hätten sie meine Worte verunsichert. Was für ein lächerliches Verhalten für eine Assistentin. Sie hatte wahrlich ihre Berufung verfehlt. Kopfschüttelnd und mir einen weiteren bissigen Kommentar verkneifend betrachtete ich sie und entdeckte das Telefon, das sie an ihre Brust presste und mit der Hand verdeckte, um unser Gespräch zu dämpfen. Von der Warteschleifenfunktion schien sie scheinbar nichts zu halten.
»Welche?«, hakte ich nach und kratzte mich am Nacken. Langsam war ich diese Diskussionen leid. Ich würde ihr eine Liste mit all den Namen meiner Geschwister anfertigen. Es waren eindeutig zu viele für ihr Gedächtnis.
»Ich … ich weiß es nicht«, stotterte sie verlegen und errötete.
»Geben Sie schon her«, knurrte ich und umrundete den Tisch.
Die Hand nach dem Telefon ausgestreckt, wartete ich, bis Naomi es mir reichte. Nachdenklich beobachtete ich, wie sie es in meine Handfläche legte und dabei versuchte, meine Haut nicht zu berühren. Als hätte ich die Pest. Warum hatte ich sie noch mal eingestellt? Hätte der Bürokram nicht so viel meiner Arbeitszeit verschlungen, würde ich das Architekturbüro weiterhin alleine leiten. Ich bevorzugte meine ruhigen Stunden, in denen ich mich ganz den Aufträgen widmen konnte und ungestört die Gebäude auf Papier brachte, die in meinem Kopf längst Formen angenommen hatten.
Mit einem Kopfnicken bedeutete ich ihr den Raum zu verlassen. Noch bevor ich den Hörer an mein Ohr hielt, war sie verschwunden und zog die Tür hinter sich zu.
Ich trat an das Panoramafenster und ließ den Blick über Montpelier schweifen. Von den Hochhäusern der Hauptstadt hatte man eine traumhafte Aussicht. Das Vermont State House nahm den größten Platz meiner Sicht ein und erstreckte sich mit einer Parkanlage vor meinen Augen. Die goldene Kuppel glänzte im Licht der Nachmittagssonne. Vor drei Jahren hatte ich Hals über Kopf mein Heimatdorf Grafton verlassen und war in die Stadt gezogen, um mein Leben als Architekt zu meistern. Trotz der anfänglichen Schwierigkeiten eines kompletten Neustarts war das Unternehmen auf Erfolgskurs und inzwischen konnte ich es mir sogar erlauben Aufträge abzulehnen. Ich musste zugeben, dass ich mit meinen einunddreißig Jahren schon einiges erreicht hatte, worauf ich stolz sein konnte.
»Hallo, Schwesterherz. Was gibt es?«
Ein Lachen am anderen Ende der Leitung war zu hören. »Du weißt doch überhaupt nicht, wer dran ist«, neckte Avah mich und entlockte mir dabei ein Grinsen, sobald ich ihre Stimme vernahm.
»Das macht nichts. Ich liebe euch alle vier.« War ich wirklich so leicht zu durchschauen? Mein Kopf brummte noch immer von dem Zusammenstoß mit der Tischplatte.
»Du bist echt ein Spinner«, konterte sie.
Ich konnte heraushören, wie sich ihre Stimmlage veränderte. Die Fröhlichkeit von vorhin schien verflogen zu sein. »Ist etwas passiert?«, hakte ich nach und malte mir in Gedanken bereits diverse Unfälle aus, bei denen sich einer meiner Familienmitglieder verletzt haben könnte.
»Nichts, was wir nicht erwartet hätten. Aber ja …«, ich hörte ein leises Schluchzen und zuckte unmerklich zusammen.
»Verdammt, Avah. Sag mir, was los ist.« Rastlos schritt ich in meinem Büro auf und ab und wartete auf ihre Antwort.
»Woher weißt du, dass ich es bin?«, erkundigte sie sich erstaunt.
»Glaubst du wirklich, dass ich eure Stimmen nicht unterscheiden könnte? Nach all den Jahren. Ich dachte du kennst mich besser«, sagte ich und fühlte mich gekränkt. Das war ein persönlicher Angriff gegen meine Ehre. Familie stand für mich immer an erster Stelle. Auch wenn es in meiner einige Personen mehr gab, als es heutzutage üblich war.
»Tut mir leid. Es ist nur … Großmutter ist letzte Nacht gestorben.« Ihre Stimme brach erstickt ab.
Meine Gedanken standen still. Wie konnte das möglich sein? Es war, als wäre ich erst gestern bei ihr gewesen und doch war mir bewusst, dass es schon Jahre zurücklag. Ich warf einen Blick an die Wand gegenüber. Die Uhr zeigte kurz nach zwei am Nachmittag an. Warum hatte man mich so spät informiert?
Noch immer war das leise Wimmern meiner Schwester zu hören. Ich schluckte den Kloß in meinem Hals hinunter und raufte mir die Haare. Ein gequälter Laut entrang sich meiner Kehle. »Ich bin in wenigen Stunden bei euch in Grafton«, murmelte ich ins Telefon.
»Du hast doch bestimmt zu arbeiten. Mum sagt, die Beerdigung ist erst für nächste Woche angesetzt«, antwortete Avah und schnäuzte sich.
Ich hielt das Telefon von meinem Ohr weg, um den ohrenbetäubenden Lärm abzuschwächen. Wie es schien, war ich tatsächlich der Letzte, der informiert wurde. Ich fühlte mich verraten, spürte, wie alte Wunden erneut aufrissen.
»Ich liebe euch. Kapiert das endlich. Und ich werde für euch da sein. Punkt. Aus. Ende«, bekräftigte ich meinen Entschluss. Ich würde nicht untätig hier herumsitzen und darauf hoffen, über wichtige Dinge Bescheid zu kriegen.
»Danke«, flüsterte sie und legte auf.
Langsam ließ ich den Hörer sinken und lehnte die Stirn an das kühle Glas. Der Anruf hatte mich kalt erwischt. Ich hatte mit so vielem gerechnet, doch nicht damit. Ich hasste es mit dem Tod konfrontiert zu werden. Zu viele Menschen hatte ich in den letzten Jahren auf diese Weise verloren. Jeder einzelne davon war zu viel, dessen, was ich verkraften konnte. Stumm liefen mir Tränen über das Gesicht, während ich versuchte sie fortzublinzeln und meine Gefühle unter Kontrolle zu bekommen.

Wut stieg in mir hoch. Ich konnte sie spüren, wie sie langsam durch meinen Körper kroch, sich unaufhaltsam durch Adern schlängelte, bis sie mich komplett ausfüllte. Die Hände geballt zu Fäusten schlug ich auf den Skizzentisch und fegte mit einer schwungvollen Bewegung die Zeichnungen zu Boden.
Wie konnte ich nur zulassen, dass sie in den letzten Jahren allein gewesen war? Ich hasste mich für meine egoistische Art, in der ich mich wie ein Feigling aus dem Leben aller verabschiedet und in der Großstadt verkrochen hatte und doch hatte ich nie den Mut aufgebracht zurückzukehren. Mich meiner Vergangenheit zu stellen und die Scherben hinter mir aufzuräumen.
Es war ein Leichtes gewesen zu Fliehen und bei dieser Flucht alle Mauern einzureißen, bis der Boden von Trümmern übersät war. Trümmer, die mir die letzten drei Jahre im Weg gelegen hatten und einen klaffenden Keil zwischen mich und meine Familie getrieben hatten.

Kaum hatte ich die Bürotür geöffnet, erklang ein fragendes Mr. Bates. Naomi verstummte jedoch sofort wieder, als sie den starren Gesichtsausdruck bemerkte.
»Leiten Sie alle Anrufe auf mein Privattelefon um und nehmen Sie sich zwei Wochen Urlaub«, wies ich Naomi an, ohne sie eines Blickes zu würdigen.
»Sie feuern mich?«, wisperte sie.
»Wenn ich Sie feuern würde, hätte ich das auch gesagt. Es gibt keinen Grund andere unnötig in Sicherheit zu wiegen«, fauchte ich und riss meinen schwarze Lederjacke vom Kleiderständer, der durch den Schwung bedrohlich ins Wanken geriet.
Ich trat hinaus auf den langen Flur, auf dem ich mir die Büroräume mit vielen anderen Unternehmen teilte und hämmerte auf den unteren Liftknopf, bis er orange aufleuchtete. Mit dem Rücken an die gegenüberliegende Wand gelehnt, wartete ich, bis der Aufzug im obersten Stockwerk ankam, ehe ich einstieg und sich die Türen hinter mir schlossen.
In jedem Stockwerk blieb der Lift stehen und Menschen stiegen ein oder aus. Mit geschlossenen Augen versuchte ich mich an die Atemübungen zu erinnern, die ich von meinem Psychiater gelernt hatte. So sehr ich mich auch bemühte die Hitze in meinem Innersten unter Kontrolle zu bekommen, so drängte sie an die Oberfläche.
Hätte ich doch die letzten Monate die Arzttermine nicht sausen gelassen. Doch die Welt hatte sich weitergedreht und je mehr Monate verstrichen waren, desto unnötiger fand ich es meine Zeit auf der Couch eines Arztes zu vergeuden, anstatt sie sinnvoller mit Arbeit zu nützen.
Wenn ich in diesem engen Raum die Kontrolle verlor, würde das für keinen der Anwesenden gut enden und ich könnte meine vorzüglich laufende Karriere als Architekt an den Nagel hängen.
Unruhig fuhr ich mit beiden Händen durch die gegelten Haare und stöhnte leise auf. Schmerz, Wehmut, all die aufgestauten Dinge in mir suchten sich einen Weg in mein Bewusstsein zurück. Ich krallte die Fingernägel in die Kopfhaut, um nicht abzudriften und mich in mir selbst zu verlieren. Der Schmerz belebte meine vernebelten Sinne, hielt mich in der Wirklichkeit fest.
Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichten wir die Tiefgarage. Kaum hatten sich die Türen geöffnet, hechtete ich aus dem Lift und rannte die Parkebene entlang. Wie ein aufgeschreckter Hase irrte ich im Zick Zack zwischen den Säulen hindurch.
In meiner Hektik streifte ich einen der parkenden Wagen und löste die Alarmanlage aus. Verdammt! Erschrocken wandte ich mich um und prallte mit voller Wucht gegen eine Mauer, die ich nicht gesehen hatte. Der Rückstoß brachte mich ins Taumeln, ließ mich stolpern, als ich auch schon zu Boden ging. Sekunden verstrichen in denen ich liegen blieb und nur der kalte Betonboden mein erhitztes Gemüt abzukühlen versuchte. Verwirrt und schummrig im Kopf rappelte ich mich auf die Beine.
Zurück kehrten die Gedanken an meine Großmutter, an die Ungerechtigkeit, dass mir ein weiterer wichtiger Mensch entrissen worden war. So wichtig konnte sie dir doch gar nicht sein, wenn du sie nie besucht hast, verhöhnten mich meine eigenen Gedanken, machten sich lustig über meine unausweichliche Situation.
Die Wut, die durch meinen Lauf und den Sturz nahezu abgekühlt war, steigerte sich nun ins Unermessliche. Brüllend ließ ich sie frei und schlug mit der Faust mehrmals gegen die Betonwand. Schmerz durchzuckte meine Gelenke, holte mich zurück in die Wirklichkeit.
Mein Puls raste. Schwer atmend starrte ich auf die blutigen Abdrücke, die ich auf dem hellen Grau hinterlassen hatte. Wieso war ich nicht bei ihr als sie starb?
Tränenüberströmt sank ich zu Boden. Den Kopf gesenkt und Unterarme auf den Knien abgestützt, verharrte ich in der Parkgarage. Stille war mein Gast in diesem nach Benzin stinkendem Loch und nur das leise Tropfen des Abwasserrohrs durchbrach sie.
Minuten verstrichen in denen ich um meine Fassung rang, die kühle Luft tief in die Lungenflügel sog, um mich wach zu rütteln.
Obwohl mich jeder Tod erneut aus der Bahn warf, meine sonst so heile Welt aus den Fugen riss, so war mir bewusst, dass das Leben weiter ging. Die Räder der Zeit drehten sich beständig vorwärts, egal wie sehr ich mich dagegen sträubte und sie zum Stillstand bewegen wollte. Nichts würde mir meine geliebte Großmutter zurückbringen.
Mit schlurfenden Schritten trat ich neben meinen weißen BMW, öffnete die Fahrertür und warf die Jacke hinein. Meine innere Unruhe hatte nachgelassen, war einer Leere gewichen, die mich aushöhlte. Besorgt betrachtete ich meine Knöchel. Die Haut war rissig und manche der Schürfwunden bluteten noch etwas.
Wie sollte ich unter diesen Umständen meiner Familie gegenübertreten? Ein tiefer Seufzer entschlüpfte meinen Lippen, denn im Grunde war mir bewusst, dass es ohnehin egal war. Sie hielten mich seit Jahren für das schwarze Schaf der Familie, denn ich war der Sohn, der es gewagt hatte, in die große böse Stadt Montpelier zu ziehen und allen den Rücken zu kehren.
Ungeduldig durchstöberte ich das Handschuhfach nach einem Tuch, ehe ich im Kofferraum nach dem Verbandskasten suchte. Außer einigen viel zu kleinen Pflastern war nichts darin zu entdecken. Mit einem genervten Seufzer schloss ich die Box und verstaute sie wieder, um mich der letzten Möglichkeit zu widmen.
Um mein weißes Hemd aufzuknöpfen, hatte ich keine Geduld. Wild zerrte ich daran, bis die Knöpfe in alle Richtungen davonsprangen. Ich zog es aus und riss es mit Hilfe der Zähne in Streifen.
Ein schmerzhaftes Stöhnen entrang sich meiner Kehle, als der Stoff die Wunde berührte. Ich unterdrückte einen Aufschrei und presste den Kiefer zusammen, während ich es fest um die Hand schnürte. Die Stirn an das Auto gelehnt, atmete ich gleichmäßig ein und aus, bis der Schmerz nachließ.
Ich beugte mich in das Wageninnere und angelte nach meiner Lederjacke. Vorsichtig schlüpfte ich hinein und zog den Reißverschluss hoch, ehe ich mich auf den Fahrersitz fallen ließ.
Das würden lustige zwei Stunden auf der Straße werden. Ich konnte von Glück reden, dass meine Handflächen unverletzt waren. Den Schmerz beim Lenken wollte ich mir nicht ausmalen.

***

Kies knirschte unter den Rädern, als ich den Wagen in die Einfahrt lenkte und aus dem Fach an der Tür die Fernbedienung hervorkramte, die unter zahlreichen Kassenbons gerutscht war. Ich drückte auf den Knopf, betrachtete das schwarze Garagentor, das sich gemächlich öffnete und parkte das Auto darin. Erleichtert atmete ich auf, als ich die Hände vom Lenkrad löste. An einigen Stellen war der Verband inzwischen rot gefärbt und der Stoff in der Wunde angetrocknet.
Wie sollte ich das nur ohne Schmerzen herausbekommen? Ich war selbst schuld. Warum fiel es mir so schwer die Kontrolle zu bewahren?
Seit nahezu drei Jahren besuchte ich diesen Seelenklempner und ich konnte keine Veränderung erkennen. Zumindest keine, die sich positiv auf mein Leben oder das meiner Mitmenschen auswirken würde. Ich steckte fest in diesem beschissenen Leben, in dem es kaum ein Vorankommen gab.
Seufzend hievte ich mich aus dem Auto, schloss das Tor und ging durch die Innentür in das Haus. Stickige Luft schlug mir entgegen. Angewidert rümpfte ich die Nase und ging in den Wohnbereich, um die Fenster zu öffnen. Lieber wollte ich erfrieren, als an dieser abgestandenen Luft zu ersticken.
Mein Blick glitt in den Garten, der um diese Jahreszeit sein herbstliches Antlitz zeigte. Orange und rot zierten die Baumkronen und vereinzelt segelten bereits Blätter zu Boden und bedeckten das Gras.
Mit einem Lächeln auf den Lippen erinnerte ich mich an den letzten gemeinsamen Herbst mit Großmutter, wie wir in warme Wolldecken gekuschelt den Abend auf der Veranda verbrachten und ihren selbstgemachten Apfelkuchen mit Ahornsirup vernascht hatten.
Wehmütig wandte ich mich ab und ging ins Badezimmer, wo
ich mich über den Medizinschrank hermachte, auf der Suche nach ordentlichem Verbandszeug, denn meine Hemdstreifen waren inzwischen unbrauchbar geworden. Vorsichtig zog ich daran, zuckte jedoch sofort zusammen, als ich spürte, wie die Wunde sich erneut öffnete. Auf diese Weise würde sich der Stoff nicht ablösen lassen, doch mit Hilfe warmen Wassers könnte es gelingen.
Ich stellte die Temperatur der Dusche ein und ließ das Wasser laufen, während ich mich meiner Jacke, Jeans und Boxershorts entledigte und in die Kabine stieg.
Ein wohliger Schauer überzog meinen Körper, als die Wärme auf meine Haut traf und meine Sinne belebte.

Leseprobe “Lost in Texas – Auf der Suche nach Dir”

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